Das mobile Atelier

Wenn die Kunsttherapie zum Patienten kommt

Kunsttherapeutin Manuela Schilling

Mit ihrem Kunstkoffer ist Manuela Schilling auf dem Klinikumsgelände unterwegs.

Anfang des Jahres hat das Kunsttherapie-Team des Universitären Centrums für Tumorerkrankungen (UCT) dank einer Förderung durch den Verein Die Brücke e.V. Verstärkung erhalten. Der Einsatzbereich von Kunsttherapeutin Manuela Schilling ist vor allem die Palliativmedizin. Zuvor war sie elf Jahre in verschiedenen Bereichen wie der Familientherapie oder in Reha- und Akutkliniken tätig. Jetzt bringt sie im Universitätsklinikum Frankfurt mit ihrem Rollkoffer die unterschiedlichsten kreativen Techniken ans Krankenbett. Auf der Palliativstation und im Palliativmedizinischen Dienst sorgt sie dafür, dass schwerkranke Patientinnen und Patienten mithilfe der Kunsttherapie Linderung ihrer körperlichen Nebenwirkungen und psychischen Belastungen erfahren. Im Interview gibt sie uns Einblick in ihre Arbeit.

Was hat Sie zur Palliativmedizin im UCT Frankfurt geführt?
Mich hat das ganzheitliche Versorgungskonzept des UCT angesprochen, das in ein komplexes Wirkungsfeld eingebettet ist: Ich arbeite in einem professionsübergreifenden Team an einer Institution, die gleichzeitig Heil-, Lehr- und Forschungsstätte ist. Gereizt an der Palliativmedizin hat mich dabei vor allem die Herausforderung, unter vermeintlich schwierigen äußeren Bedingungen dennoch Wege für eine künstlerische Tätigkeit mit den Patientinnen und Patienten zu finden. 

Wie müssen wir uns Ihren Arbeitsalltag vorstellen?
Zunächst verschaffe ich mir einen Überblick über die Patienten (Neuaufnahmen, aktuelle somatische, psychische und mentale, familiäre Situation) im Austausch mit den Kollegen und Kolleginnen des PMD oder dem auf der Station anzutreffenden behandelnden Arzt. Das Arbeitsmaterial bereite ich dann individuell auf den jeweiligen Patienten und dessen Themen und Wünsche zugeschnitten vor. Entsprechend dem akuten Belastungsgrad des Patienten sowie weiteren Behandlungs- oder Besuchsterminen kann eine kunsttherapeutische Begleitung von 20 bis manchmal sogar 120 Minuten dauern. Dies ist täglich sehr unterschiedlich. Wenn gewünscht, integriere ich auch die Angehörigen, indem z.B. Paare als Team an einem Werk arbeiten oder für einander einzelne Werke erstellen. Je nach Bedarf wechsele ich flexibel zwischen der Begleitung auf der Palliativstation zu Patientinnen und Patienten im Konsiliardienst. Den Abschluss des Tages bilden die Dokumentation und anderweitige organisatorische Tätigkeiten.

Was bedeutet für Sie Kunst in Zusammenhang mit Ihrem Beruf?
Kunst bedeutet für mich absolute Freiheit und pure Lebenslust und Fülle. Innerhalb meiner künstlerischen Arbeit versuche ich die Grenzen des Materials sowie des Gesehenen zu überwinden. Das nicht Sichtbare soll sich zeigen dürfen.

Welche Methoden und welche Techniken wenden Sie bei Ihrer Arbeit als Kunsttherapeutin an?
Meine kunsttherapeutische Arbeit basiert auf der ganzheitlichen Wahrnehmung des Menschen und richtet sich nach der anthroposophischen Kunsttherapie und dem Menschenbild der humanistischen Psychologie. In meine Begleitung fließen analytische, tiefenpsychologische Aspekte sowie Ansätze der Systemischen bzw. Familientherapie und Traumatherapie mit ein.

Ich arbeite vorwiegend mit zeichnerischen, malerischen, plastizierenden sowie textilen Medien. Dieses Repertoire versuche ich breit gestreut zu halten, da somit jedem Patienten mittels der auf ihn zugeschnittenen Techniken der Zugang zum kunsttherapeutischen Prozess erleichtert werden kann.

Was ist die Herausforderung bei der kunsttherapeutischen Arbeit in der Palliativmedizin?
Häufig ist eine zeitintensivere prozessorientierte Arbeit nicht möglich, da nur wenig Zeit, manchmal nur eine Einheit mit dem Patienten zur Verfügung steht. Darüber hinaus erlaubt der teilweise stark reduzierte Allgemeinzustand des Menschen keine oder nur eine sehr eingeschränkte kreative Tätigkeit oder verbalen Austausch. So ergänzt inzwischen das Vorlesen und damit die Imagination von inneren Bildern meine kunsttherapeutische Arbeit.

Es ist mir in meiner Arbeit unbedingt wichtig, das aktuelle Bedürfnis des Patienten wahrzunehmen. Dies ist häufig „Ich brauche mal eine Pause“, aber auch der Umgang mit Wut, Angst vor dem Tod oder die Suche nach Antworten. Die Kunsttherapie ermöglicht hier eine Auszeit und eröffnet Freiräume und Wohlfühlorte außerhalb der Krankheit und des Krankenhauses. Ziel ist es, innere positive Bilder und Erinnerungen und die eigenen Ressourcen des Patienten anzuregen, die zu einer somatischen Entlastung führen können. Und für starke Belastungen oder Emotionen einen Ausdruck zu finden und diese (z.B. Wut) „herausmalen“ zu können, wirkt auch seelisch befreiend. Ist der Patient in seinem Allgemeinzustand sehr reduziert, lässt sich die Entspannung an einem ruhigeren Atmen oder der Entspannung von Gesichtszügen ablesen.

Gab es ein besonders prägendes Ereignis, das Sie zur Kunsttherapie geführt hat?
Ja. Ich arbeitete an einer Schule für körperlich und geistig eingeschränkte bzw. stark verhaltensauffällige Kinder mit einem jungen Mann, welcher im Rollstuhl saß, seine Hände und seinen Geist nur sehr eingeschränkt nutzen konnte. Bei der unterstützten künstlerischen Tätigkeit aber zeigte er eine solche Freude, Entscheidungs- und Durchsetzungskraft, die mich tief beeindruckt und mir ein neues Verständnis von Krankheit und Begrenztheit vermittelt hat.

Zu guter Letzt: Welchen Tipp aus Ihrer Arbeit würden Sie den Patienten und ihren Angehörigen geben?
Es gibt in der Kunst kein Richtig oder Falsch. Hier hat man absolute Freiheit! Gerade in schwierigen Lebensphasen kann das persönliche künstlerische Schaffen unsere Wahrnehmung schärfen und neben der Lebensfreude auch wieder einen intensiveren Zugang zu uns selbst vermitteln, der uns stärkt.

Herzlichen Dank für das Gespräch, Frau Schilling!